Für diejenigen, die mich nicht kennen, mein Name ist Pia Kuhlmann, ich bin (noch) 24 Jahre alt, Mitglied im Schaumburg-Lippischen Seglerverein und ich segle in der olympischen One-Design Bootsklasse Laser Radial. Mein großes Ziel – mich für die Olympischen Spiele zu qualifizieren.
Aber wer hätte im Jahr 2016 gedacht, dass vier Jahre später ein Virus die gesamte Welt lahmlegt und die Olympischen Spiele 2020 in Tokio um ein Jahr vorschoben werden?! Wahrscheinlich niemand…
Seitdem ich 2009 aus dem Opti in den Laser Radial umgestiegen war, habe ich diesen Traum der Olympischen Spiele. 2012 schien ein wenig früh, Segeln ist ja für gewöhnlich ein „Erfahrungssport“ und daher war das Ziel recht schnell klar – Rio 2016!
Nachdem wir vor vier Jahren dann jedoch, in der letzten möglichen Ausscheidung im Rahmen der Princess Sophia Regatta, knapp das Nationen-Ticket für die Olympischen Spiele 2016 in Rio verpasst hatten, war das neue Ziel direkt gesetzt. Tokio 2020!
Nachdem ich meinen Bundeskaderstatus Ende 2015 verloren hatte, musste eine „Alternative“ her; das Jahr 2016 noch komplett als Einzelkämpfer, doch dann Ende des Jahres, durch einen Zufall, „Sparringspartner“ und Trainingskollegin der Laser Radial Juniorinnen des „British Sailing Team“ – das Wintertraining im Süden war gesichert. Die Weltmeisterschaft fand im Jahr 2017 in Medemblik/Niederlande statt. Mein Ziel war es, mit Pauken und Trompeten endlich meinen Bundeskaderstatus zurück zu erhalten, nachdem ich mit einem verlorenen Reisepass auf der WM 2016 in Mexiko ganz andere Sorgen hatte, doch auch in Medemblik patzte ich.
Mit dem Jahr 2018 startete dann eine neue Ära: meine Eltern, die bis dato schon meine größten Unterstützer waren, schafften ein Motorboot an und das Familienprojekt „Team Coolman“ wurde auf einmal ziemlich „professionell“. Papa, als mein Trainer, mit dem als WVStM-Trainer/Laser in 2010 meine Laser-Leidenschaft begann, sowie meine Mama als „Shore-Crew“ opferten zudem jede Minute ihres Urlaubs um mich zu unterstützen.
2018 fand dann auch die World Sailing Weltmeisterschaft, aller olympischen Bootsklassen zwei Jahre vor den Olympischen Spielen, in Aarhus/Dänemark statt. Zwei Besonderheiten dieser WM, dass die ersten Nationentickets für die Olympischen Spiele 2020 vergeben wurden und zudem für die Deutschen Segler auf Grund von begrenzten Startplätzen eine Ausscheidung für die WM-Teilnahme erforderlich war. Die Events hierfür waren die Princess Sophia Regatta in Palma und die Kieler Woche 2018.
Somit ging es für das gesamte „Team Coolman“ Anfang März zur Vorbereitung auf den ersten Saisonhöhepunkt gen Süden zur Princess Sophia Regatta. Die Regatta verlief anders als geplant, mit einer grottigen Qualifikationsserie endete ich in der Silbergruppe und beendete das erste Qualifikationsevent mit einem 78. Platz. Die nächsten anderthalb Monate folgten weitere Trainings in Hyères, mit dem anschließenden Sailing World Cup und in La Rochelle, wo im Mai die Europameisterschaft stattfand. Eine zu konstante Serie ließ, bei zwei Streichresultaten, am Ende einen 33. Platz im Endergebnis erscheinen.
Wieder in Deutschland angekommen, erfolgte die weitere Vorbereitung in Kiel auf das zweite Ausscheidungsevent, die Kieler Woche. All die investierte Zeit hatte sich gelohnt, am Ende der Woche hatte ich mit Platz 15 nicht nur ein super Ergebnis im internationalen Starterinnenfeld erzielt, sondern hatte mich gleichzeitig auch für die World Sailing WM in Aarhus für Deutschland qualifiziert.
Knapp 6 Wochen später, nach einem längeren Trainingsblock in der Bucht von Aarhus ging es dann auch schon mit der WM los. Wie immer galt als erstes Ziel „Goldkurs statt Golfkurs“, dieses schaffte ich trotz einer gelben Flagge, „unerlaubter Vortrieb“, von der Jury im dritten Rennen gut zu bestätigen. Der letzte WM-Tag wurde dann jedoch noch einmal mehr zum Krampf als zum Kampf – ein aufkommender Infekt mit Hals- und starken Kopfschmerzen beeinflussten meine Konzentration auf dem Wasser extrem. Von meinem eigentlichen Ziel, das Olympia-Nationenticket zu lösen, war ich mit Platz 47 von 119 Starterinnen weit entfern. Auf Grund günstiger Konstellationen schaffte es Svenja Weger mit ihrem 26. Platz jedoch frühzeitig das letzte, der dort zu vergebenden, Tickets der Laser Radial Frauen für Deutschland zu lösen.
Somit war klar, dass Deutschland 2020 die Möglichkeit hat im Laser Radial in Tokio bei den Olympischen Spielen teilzunehmen. Und es war auch klar, dass eine Ausscheidung hierfür folgen würde.
Anfang Oktober 2018 wurde ich dann zu meinem Überraschen am Ammersee Deutsche Vizemeisterin im Laser Radial. – wer hätte das gedacht, dass am Ammersee auch ein bisschen Wind sein kann.
Ein voller Erfolg für mich und das gesamte „Team Coolman“!
Die Tage wurden kälter und kürzer und anders als die Jahre zuvor ging es für nicht in den Süden. Meine Trainingsmöglichkeiten in Kiel waren den Umständen entsprechend „optimal“, meine zwei alten und verrückten Niedersachsenkollegen, die mittlerweile auch in Kiel wohnten, Nick Heuwinkel und Noah Piotraschke segelten den gesamten Winter mit mir durch. Vier Grad Wassertemperatur und 5 Grad Lufttemperatur waren dabei keine Seltenheit, doch was tut man nicht alles, wenn Segeln einfach eine Sucht ist und man ein großes Ziel vor Augen hat.
Neben dem Segeln musste ich mich aber auch mal wieder meiner anderen Karriere widmen. Mein Studium lief nach wie vor noch neben dem Leistungssegeln und das Berufspraktikum, sowie meine Bachelorarbeit hielten mich nur noch von meinem Bachelorabschluss im Fach Geographie ab. So wurde in der etwas „freieren“ Segelzeit des Jahres endlich mal mein Berufspraktikum in Angriff genommen.
Wie Papa zu sagen pflegte: „Du wirst zu einer Abtrünnigen!“ – im Rahmen meines Praktikums im Ostsee Info-Center Eckernförde durfte ich mich um die Meeresentenschätzungen kümmern.
Der Frühling startete und somit die „richtige“ Segelsaison 2019. Nach einer ersten „Kiel Lighthouse-Challenge“ beim ersten Wassertraining in Kiel, ging es Anfang April zur ersten Regatta, dem Sailing World Cup nach Genua. Kurz gesagt: eine Woche Leichtwind, viel Warterei, eine schei* Organisation und zudem ein nicht wirklich zufriedenstellendes Endergebnis (Platz 56 von 67 Starterinnen).
Von dort aus ging es direkten Weges weiter nach Hyères, Südfrankreich, zur Vorbereitung mit internationalen Seglerinnen auf die im Mai stattfindenden Europameisterschaft in Portugal. Viele effektive Trainingstage auf dem Wasser mit meinem, zu dem Zeitpunkt, Freund und Zweit-Coach Fabi, folgten und zum Abschluss folgte die Semaine Olympique Francaise, bei der ich mit Platz 24 wenigstens knapp die erste Hälfte erreichte. Als nächstes folgte die lange Anreise nach Porto/ Portugal zur Laser Radial Europameisterschaft.
Wellen! – Wellen wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatten erwarteten mich in Porto. Großer Swell und toller Wind zum Training. Zur stark internationalbesetzten Europameisterschaft wurde der Wind dann jedoch zusehends weniger. Fast jeden Morgen wurde erstmal auf Wind gewartet und dann wurden Rennen unter schwierigen (Strom- und Wind-) Bedingungen gesegelt. Meine Qualifikationsserie beendete ich ganz knapp mit dem Erreichen der Goldfleet („Goldkurs statt Golfkurs“ lässt grüßen…). Doch meine Finalserie war im Gegensatz dazu mit zunehmenden Winden nahezu brillant. Bis auf einen 44. Platz in der achten Wettfahrt, segelte ich in den Finalrennen lediglich Plätze unter den Top 12. Ein wahrer Erfolg für mich, der mich am Ende, als erstplatzierte Deutsche, auf Platz 21 spülte und mich in der Europäischen Wertung sogar auf Platz 16 katapultierte. Viele Seglerinnen und auch internationale Trainer gratulierten mir im Nachhinein für meine gelungene Aufholjagd und auch der Deutsche Bundestrainer drückte mir seine Anerkennung mit den Worten „I’m very impressed!“ (-„Ich bin sehr beeindruckt!“) aus.
Zurück in Deutschland folgte bald darauf auch schon die Young European Sailing (Platz 3) und dann auch die Kieler Woche, welche durch extrem spezielle Windbedingungen gekennzeichnet war. Das letzte Flottenrennen war wohl mit Abstand das spannendste Laser Radial Rennen der ganzen Kieler Woche 2019, nachdem das Rennen in mittleren Winden gestartet wurde, wurde der Wind auf dem letzten beiden Schenkeln immer weniger und beinhaltete gleichzeitig auch eine 180 Grad Drehung. Das Feld war ganz schön zusammengestaucht worden und die Jury war wie „gestochen“ und verteilte ordentlich Flaggen auf den letzten Metern. Vorbestraft mit einer gelben Flagge, „unerlaubter Vortrieb“ von der Jury, war ich natürlich sehr drauf bedacht, das Rennen zu Ende bringen zu können. Ich setzte meine Wenden sachte und ganz gezielt trotz Jury im Nacken und schaffte es sogar mich noch etwas durch das Pulk nach vorne ins Ziel zu arbeiten. Nach kurzer Enttäuschung das Medal Race nicht geschafft zu haben, stellte sich dann jedoch an Land heraus, dass ich es auf Grund der dritten Flagge der Türkin (3. Flagge bedeutet Aufgabe des Rennens und in der Wertung einen DNE (Ergebnis nicht streichbar)) doch noch ins Medalrace, der besten 10. Radials, schaffte – leider waren die Punktabstände zu groß, so dass mein 6. Platz im doppelt-bepunkteten Medalrace keine Verbesserung bedeutete – aber immerhin Platz 10!
Nach der KiWo folgte ein privat organisiertes, internationales Training mit Seglerinnen aus Norwegen, Mexiko, Hongkong und Spanien mit anschließendem Europacup im Rahmen der Warnemünder Woche, bei der ich meinen Erwartungen ganz und gar hinterher segelte und nur Platz 9 erreichte.
Nach der WaWo hielt der Sommer nicht mehr allzu viele Regatten für mich bereit, den „Deipen Cup“ in Mardorf, bei dem ich Landesmeisterin wurde, den „Strander KÜZ“ und dann noch den „Laser Cup“ in Steinhude, bei dem ich mir im Rahmen der Distriktmeisterschaft-Nord “Silber“ sichern konnte. Mein Training in Kiel mit Nick und Noah war jedoch nach wie vor größter Bestandteil meiner Vorbereitung auf die Int. Deutsche Meisterschaft in Glücksburg.
Ende September reiste das gesamte „Team Coolman“ zur Vorbereitung nach Glücksburg, das neue Segel wurde aufgezogen und die Deutsche Meisterschaft startete, nach einem Ruhetag wegen Sturm, in sehr schwer vorhersehbaren Wetterbedingungen. Wenig Wind, viele Dreher und eine gelbe Flagge (Regel 42.basic) auf dem Vormwind machten mir am ersten Tag das Leben schwer. Der nächste Tag brachte stärkeren Wind und bessere Ergebnisse, sogar zwei „Bullets“ (1. Plätze). Ich vollendete die Qualifikationsserie mit soliden Ergebnissen und starte daraufhin mit dem roten Leibchen, Platz 3, ins Medalrace.
Die finale Wettfahrt der ersten Zehn, doch was war das für ein verrücktes Rennen: Ein Einzelrückruf veranlasste mich und zudem vier weitere Konkurrentinnen zurück hinter die Startlinie zu segeln. Eine nervenaufreibende erste Kreuz, Platz 9 an der ersten Bahnmarke, ein guter Vormwind, eine geniale zweite Kreuz und dann ein noch besserer Vormwind mit einer „privat Bö“– Nerven aus Stahl mit der Jury im Nacken. Ich überquerte die Ziellinie als 4. und rutschte durch die Punktekonstellation aus dem Medalrace noch unerwartet auf den 2. Gesamtrang vor. So konnte ich den Vizemeistertitel des Vorjahres bestätigen – ein Erfolg für mich und für das gesamte „Team Coolman“, dem dieser motivierende Erfolg galt.
Nach intensiver seglerischen und athletischen Vorbereitung im kalten Kiel und dem Weihnachtsfest in der Heimat ging es Ende Dezember dann endlich auf die lange Reise nach Sandringham/Australien. 63 Tage auf der Südhalbkugel, im australischen „Sommer“ für die (weitere) Vorbereitung auf meine Olympia Kampagne mit anschließender, im Februar stattfindenden Laser Radial Women Weltmeisterschaft, oder auch besser gesagt, der ersten nationalen Ausscheidungsregatta für die Olympischen Spiele.
Nahezu tägliches Training, Regatten wie die australische Meisterschaft und die Sail Melbourne, sowie ein paar Sightseeing Trips machten Australien zu einem unglaublichen Erlebnis bevor die WM startete.
All die Bedingungen, die bisher so konstant und sicher schienen, waren zur Weltmeisterschaft unberechenbar. Ich startete konstant in meine Serie, doch anders als erwartet, fiel es mir besonders schwer die Vormwinde zu segeln. Speziell an den Tagen mit mehr Wind waren meine Ergebnisse für mich persönlich nicht richtig zufriedenstellend, doch ich schaffte das übliche Ziel „Goldkurs statt Golfkurs“. Die Punkteverteilung war extrem eng, sodass ich am letzten Tag trotz recht solider Finalserie, die jedoch ohne Ausreißer nach vorne, bei zwei Streichresultaten einfach zu konstant war, Platz 37 im Endergebnis – mein bisher bestes WM-Ergebnis aller Zeiten, doch leider reichte das nicht aus, um schon einige Qualifikationspunkte auf mein Konto zu bringen. Nur Svenja Weger schaffte dies als beste und einzige Deutsche mit Platz 13.
Zurück in Deutschland sollte als nächstes die Princess Sofia Regatta, das zweite nationale Ausscheidungsevent, auf Mallorca gesegelt werden, doch 225km vor dem Fähranleger in Barcelona, erreichte uns, Sophia eine Clubkameradin war als „Co-Pilotin“ mitgekommen, die Nachricht, dass die Regatta auf Grund von Covid-19 abgesagt werden musste. So ging es unverzüglich wieder auf den Heimweg.
Zu Hause eingetroffen kamen die Neuigkeiten dann Schlag auf Schlag: die zeitnahen Regatten wurden alle abgesagt, folgend alle großen, internationalen Events, wie die Kieler Woche und Warnemünder Woche, auch die Europameisterschaft in Griechenland, unser (geplantes) drittes Ausscheidungsevent, wurde auf Oktober verschoben und zu guter Letzt dann auch noch die Olympischen Spiele auf den Sommer 2021!
So wurde durch das Covid-19 Virus aus dem olympischen vier Jahres-Zyklus ganz spontan, jedoch vollkommen berechtig, ein „4+1 gratis dazu“- Zyklus.
Eine Formulierung mit Galgenhumor, aber für alle Sportler ist dies eine tiefgreifende Entscheidung und bedeutende Veränderung, sowohl im privaten als auch im unternehmerischen Bereich.
Für mich ändert sich natürlich auch Einiges (ich möchte nun doch erstmal meine Bachelorarbeit schreiben, damit das durch ist, denn …)
…eins ist klar: mein Ziel mich für die Olympischen Spiele zu qualifizieren steht nach wie vor! Und noch immer bin ich bereit Alles dafür zu geben!
So wird in der Corona-Zeit der Laser unterm Carport zur Hängebank umfunktioniert, das Training findet unter gegebenen Möglichkeiten im Garten statt und ich versuche weiterhin mich optimal auf mein anstehendes Ziel und die „kommende“ oder wieder an startende Saison vorzubereiten.
Wie sagte Aristoteles doch so schön „Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzten“ und so werde ich versuchen das Beste aus dieser neuen Situation zu machen und dieser weiterhin positiv entgegentreten.
Zwischenzeitlich ist Einzelsport im Freien auch wieder möglich. Alleine Segeln auf dem Steinhuder Meer, wo doch alle Segelvereine gesperrt sind?
Einzel-Segeln von privaten oder gewerblichen Steganlagen ist aber auch in Steinhude erlaubt! Also für „Team Coolman“ kein unüberwindbares Hindernis, so wird der Laser halt jedes Mal auf dem Autodach zum Training hin und zurück verladen, aber auch hier gibt es wohl „Licht am Ende des Tunnels“…
In diesem Sinne, bleibt alle gesund und haltet die Ohren (weiterhin) steif – wir werden bald wieder unseren geliebten Sport ausüben können, ganz egal welches Ziel wir verfolgen!
Eure Pia